Revolution in Naundorf 1918/19

Wir danken für die Förderung aus der Richtlinie „Revolution und Demokratie“, die uns die kleine Ausstellung, die Internetpräsentation einiger Texte und Bilder sowie die Publikation (erscheint Anfang 2021) ermöglichte.

Gliederung zum Anklicken:

Das Rittergut Naundorf

Das Dorf und das Rittergut Naundorf sind über 600 Jahre alt. 1404 erstmals urkundlich erwähnt, wurde wohl noch im 15. Jahrhundert das alte Schloss dort errichtet, wo heute noch das umgebaute Bierlingsche Gewächshaus steht. Um 1850 wurden die Reste dieses alten Schlosses und der „alte Turm“ abgerissen, der dem Turm des neuen Schlosses mehr als einhundert Jahre gegenüberstand. Das neue Schloss ließ Wilhelm v. Schönberg 1608 errichten, der Turm wurde um 1715 angebaut. Jede Besitzergeneration – die v. Schönberg, v. Bernstein, v. Bünau, v. Carlowitz, Otto und Bierling – hinterließ ihre baulichen Spuren auf dem Gut und im Schloss, die das Gebäude bis heute prägen. Der Zusammenbruch der Monarchie 1918 und die Gründung der Weimarer Republik änderten vieles im Leben der Bevölkerung.

Schloss Naundorf in den 1930er Jahren (Rechte bei: Dr. Günther Haußmann)

Kriegsende und die erste Nachkriegszeit

Der Krieg war nicht mehr zu gewinnen – der „schwarze Tag des deutschen Heeres“ am 8. August 1918, der den Beginn der Ententeoffensive und die Niederlage der deutschen Armee einleitete -, die Hungersnot, die fehlende Perspektive für einen Frieden, die gescheiterten politischen Reformversuche für mehr Teilhabe der Bevölkerung, z.B. das Landtagswahlrecht zu modernisieren, und viele Faktoren mehr ließen die Unzufriedenheit in der Bevölkerung stark wachsen, die sich im November in der Revolution 1918 entlud. Der Waffenstillstand wurde am 11. November 1918 geschlossen. Zu dem Denkmal für den deutsch- französischen Krieg kam nun das für den Ersten Weltkrieg hinzu. Elf Namen gestorbener Soldaten aus Naundorf sind auf ihm aufgeführt. Der Gedenkstein stand bei seiner Errichtung nicht am heutigen Standort. Anders als die Siegesdenkmäler für den deutsch französischen Krieg 1870/71, die auf großen Plätzen standen, wurden die meisten Kriegerdenkmäler für 1914/18 auf Friedhöfen oder anderen ruhigen Orten errichtet, fernab des Straßenlärms, oft in Wäldern oder Baumgruppen. Die Soldaten, die nicht in Gefangenschaft geraten waren, kehrten in ihre Heimatorte zurück. Nach den Jahren an der Front mussten sie sich erst wieder zurechtfinden, in die zivilen Berufe zurückkehren oder sich eine neue Beschäftigung suchen. Das Sichern des Überlebens hörte 1918 nicht auf, sondern setzte sich nach den mehr als vier Jahren Not des Krieges fort. Nach dem staatlichen Zusammenbruch stand die Lebensmittelversorgung an vorderster Stelle aller Aufgaben. Noch 1919 war das beherrschende Thema im Gemeinderat die Lebensmittelversorgung. In der „Weißeritz-Zeitung“ wurde angekündigt, wann es amerikanisches Weizenmehl oder andere Lebensmittel als Sonderzuteilungen gab, die der Sicherstellung der Ernährung dienten.

Kriegerdenkmal Naundorf am alten Standort

Die politische Umwälzung

Während der Revolutionszeit entstanden überall Räte, die die politische Gewalt vorübergehend oft an sich rissen oder übertragen bekamen. Der sächsische König Friedrich August III. hatte das Land verlassen, nachdem die Lage unhaltbar geworden war, und am 13. November abgedankt. Er spielte jedoch schon während des Krieges kaum noch eine Rolle in der Politik. Auch im Kirchspiel Sadisdorf, zu dem Naundorf gehörte, lassen sich die Ereignisse um 1918/19 nachzeichnen. In Dippoldiswalde wurde ein revolutionärer Arbeiter- und Soldatenrat (A.-u.-S.-Rat) gegründet, dessen Vertreter in die Stadtverordnetenversammlung entsandt wurden. Als Gegenmaßnahme zu den Arbeiter- und Soldatenräten – zuweilen wurden sogar eigene Landarbeiterräte gegründet – schuf der Bund der Landwirte eigene Bauernräte, die den revolutionären A.-u.-S.-Räte entgegentraten. Auch in Sadisdorf wurde am 24. November 1918 ein solcher Bauernrat gegründet, dem der Pfarrer vorstand. Im Jahr 1919 wurden auch in der Umgebung Naundorfs Einwohnerwehren zum Schutz der Dörfer gegründet.

Oskar Bierling

Wahlen

Alle politischen Lager forderten schnelle Landtagswahlen, da der alte Landtag politisch nicht mehr legitimiert war. Am 2. Februar 1919, also nur ein Vierteljahr nach der Revolution, wurde der neue Landtag gewählt, diesmal mit dem Namen „Volkskammer“. Die größte Zahl an Stimmen, mit großem Abstand zu den Konkurrenten, erhielten der sozialdemokratische Kandidat in Naundorf und den umliegenden Gemeinden. Der gewählte Julius Fräßdorf gehörte dem rechten SPD Flügel an und wurde nach der Wahl zur Volkskammer auch deren Präsident.

Bei den Wahlen zur Bezirksversammlung der Amtshauptmannschaft Dippoldiswalde (Kreis Dippoldiswalde – also vergleichbar mit Kreistagswahlen) am 2. November 1919 setzten sich im Schmiedeberger Wahlkreis zwei Arbeiter durch; in anderen Wahlkreisen Bauern oder, wie im Wahlkreis Reichstädt, der dortige Rittergutsbesitzer v. Schönberg. Die Rechtsparteien erhielten in der Bezirksversammlung mit 27 Abgeordneten die Zweidrittelmehrheit gegenüber 13 Linksparteiabgeordneten; in fast allen Wahlkreisen lagen die Rechtskandidaten vorn. Einzig in Schmiedeberg konnte kein Rechtsparteikandidat gewinnen, was Rückschlüsse auf die besondere Sozial- und politische Struktur Schmiedebergs in der Amtshauptmannschaft zuläßt. Wahlberechtigt waren die Stadtverordneten, die Gemeindevertreter in den Dörfern und in den selbständigen Gutsbezirken alle Einwohnerinnen und Einwohner, die auch für die Volkskammer wählen konnten. Dies kennzeichnet die Besonderheit der Gutsbezirke, deren Einwohner zu dieser Zeit noch kaum kommunale Rechte hatten. Wahlleiter in den Gutsbezirken war der jeweilige Gutsbesitzer.


Der selbständige Gutsbezirk Naundorf

Die Gutsherrschaften hatten eine starke Stellung inne, zumal das Rittergut Naundorf einer von 1218 (!) sächsischen selbständigen Gutsbezirken war. Die Gutsbezirke unterschieden sich von den Ortsgemeinden u.a. dadurch, dass sie keine Gemeindevertretung (Ortsvorsteher/Bürgermeister, Gemeinderat) besaßen, sondern der Grundherr, also der Gutsbesitzer, diese Funktion mit ausübte, ähnlich wie die Gerichtsbarkeit und sogar ein eigenes Standesamt im Gutsbezirk Naundorf existierten. Das System der Gutsbezirke in dieser Form hatte Sachsen erst nach 1866 von Preußen übernommen. Naundorf gehörte zu den ritterschaftlichen Gutsbezirken, in den der Grundherr adlige Vorrechte wie z.B. Kreistagsfähigkeit innehatte. Die Gutsbezirke wie auch der in Naundorf wurden Anfang der 1920er Jahre aufgelöst und mit der politischen Gemeinde zusammengeschlossen, so dass der Grundherr erheblich an Einfluss verlor. Erst damit, vor einhundert Jahren, entstand das politische Gemeinwesen Naundorf in seiner heutigen Form. Ohne seine politische Funktion blieben dem Rittergutsbesitzer lediglich die wirtschaftliche Dominanz und das Kirchenpatronat. Beides sicherte ihm jedoch noch genügend Einfluss im Dorfleben. Seit 1898 war der Dresdner Lederfabrikant und Kommerzienrat Oscar Bierling Eigentümer des Ritterguts Naundorf. Wie viele seines Standes trafen ihn der Waffenstillstand und die Revolution hart.


Der Gutsherr und das Dorf

Beide Seiten, die Bevölkerung und die Familie Bierling, mussten sich mit den neuen Verhältnissen zurechtfinden. Die Naundorfer erhielten politisch wesentlich größere Rechte, eine kommunale Selbstverwaltung und neue Gesetze wie der Einführung des Achtstundenarbeitstages durch den Rat der Volksbeauftragten 1918 verbesserten auch hier die Stellung der Arbeitnehmer. Die Grundherrschaft, aber auch der Sadisdorfer Bauernrat, bekämpfte den Achtstundenarbeitstag, den sie für landwirtschaftliche Verhältnisse als ungeeignet empfanden. Oscar Bierling war sich jedoch bewusst, dass auch er sich mit der Bevölkerung gutstellen musste, benötigte er doch Arbeitskräfte und die Zufriedenheit der Naundorfer. Nach 1918 fürchteten nicht wenige Gutsbesitzer dass auch ihnen wie im revolutionären Rußland die Verfolgung und der Tod drohe; das, was dann nach 1945 einsetzte. Überall gärte es in den Dörfern nach 1918 und die ausgedehnten Jagden Bierlings sorgten schon vor dem Ersten Weltkrieg in den umliegenden Dörfern für Unzufriedenheit. Der Gutsherr ging patriarchalisch mit seinen Arbeitern um, d.h., als natürliche Autorität, dem die Arbeiter gehorchen mussten, gepaart mit einer Mischung aus Väterlichkeit, Gutmütigkeit und Strenge. Oscar Bierling schrieb selber von sich, dass er patriarchalisch mit seinen Leuten umging; dazu gehörten auch soziale Wohltaten, die der Grundherr ausgab. Doch besonders der Achtstundentag führte dazu, dass die Gutsherrschaft mit den Arbeitsleistungen unzufriedener wurde, da natürlich in acht Stunden weniger geleistet wurde als mit mehr Stunden. Oscar Bierling meinte daraufhin, dass sich das Rittergut immer weniger lohne, von seiner Frau ist der Satz überliefert: „Die Leute stehen schon wieder“. Dennoch blieben Bierlings Naundorf eng verbunden und kamen gern hierher. Doch fiel ihnen die Anpassung an die neuen Verhältnisse nicht leicht.

Polnische Landarbeiter auf dem Gut Naundorf, 1900, rechts wohl Mathilde Bierling

Kirchenpatronat

Im Mittelalter hatte der Kirchenstifter das Recht über die Kirche (Eigenkirchenrecht), das an den jeweiligen Grundherren übertragen wurde. Daraus entwickelte sich das Kirchenpatronat in seiner späteren Form, das dem Grundherrn u.a. wichtige Mitspracherechte bei der Besetzung der Pfarrstellen einräumte und ihm die Patronatsloge in der Kirche gewährte. Die Hauptpflicht des Patronatsherrn war die Kirchenbaulast; d.h., er musste sich an allen Baumaßnahmen an der Kirche beteiligen; musste die Gelder der mildtätigen Stiftungen verteilen (hier: Carlowitz- und Otto- Stiftung) und viel Schriftverkehr mit der Kirchenleitung Sachsens, dem Oberkonsistorium bzw. Landeskirchenamt führen. Der Naundorfer Grundherr war Patronatsherr der Kirche zu Sadisdorf. Noch heute findet man in der Kirche die Patronatsloge mit dem Wappen Wilhelm Eduard Ottos.

Auch Oscar Bierling nutzte noch als Kirchenpatron diese Loge bei seinen Gottesdienstbesuchen. Das Kirchenpatronat erlosch nicht mit der Monarchie, sondern blieb bis nach dem Zweiten Weltkrieg bestehen. Die Kirchenpatronate gelten in der heutigen Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsen als aufgelöst, während sie in anderen evangelischen Landeskirchen z.B. wie der badischen noch existieren. An das Kirchenpatronat Oscar Bierlings erinnern heute noch die Buntglasfenster in der Sadisdorfer Kirche, die er in den 1920er Jahren stiftete.

„Zur Erinnerung an Ernte-Hilfs-Arbeit/
Arbeit ist Segen/
Rtg. [Rittergut] Naundorf“

Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts.